Moderne Synagogenarchitektur
Moderne Synagogenarchitektur
(c) Frank Lloyd Wright

Synagogen gelten als höchster Ausdruck jüdischer Kultur und sind Zentrum der sozialen und religiösen Aktivitäten einer jüdischen Gemeinde. Ab der Mitte des 19. Jahrhunderts entstanden in Europa viele beeindruckende jüdische Sakralbauten, die noch in alten Bauregistern zu bewundern sind, denn über 1.400 Synagogen wurden in der Reichsprogromnacht 1938 und danach zerstört. Nach dem Trauma der Shoah, stagnierten die Bestrebungen eines Wiederaufbaus, da die Gemeinden nurmehr sehr wenige Mitglieder hatten oder Überlebende ausgewandert waren. Die Synagogen waren zerstört oder, sofern sie noch erhalten waren, dauerhaft umgenutzt worden. Der erste Neubau einer Synagoge nach dem Zweiten Weltkrieg dürfte 1951/52 in Stuttgart nach Plänen von Ernst Guggenheimer entstanden sein und wurde auf den Fundamenten des 1938 zerstörten Vorgängerbaus errichtet.

 

Zvi_Hecker_Negev

Die sehr aktive Bautätigkeit seit den späten 1950er Jahren und die daraus entstandene neuerliche Blüte der Synagogenarchitektur kann aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass noch immer ungenutzte Synagogen verfallen und abgerissen werden. Für die beauftragten Architekten und den jüdischen Gemeinden als Bauherren stellt sich bei der Planung die Frage, wie soll eine neue Synagoge aussehen. Bis heute wird darüber gestritten, wie das Beispiel um die Planung der Synagoge Hamburg zeigt. Es geht darum, ob eine Synagoge im alten Stil nachgebaut oder völlig neu, einer modernen Architektur folgend, geplant werden soll. Die Architekturgeschichte zeigt, dass der Synagogenbau, ähnlich wie der Kirchenbau, bis heute wechselnden Trends gefolgt ist. Für einen modernen Stil spricht, dass dies einen Neuanfang jüdischer Glaubenskultur darstellen kann, der die traurige Vergangenheit nicht vergisst, sondern mit neuer Kraft und Ideen einer modernen Zeit dynamisch und kreativ entgegensieht.

In Israel, wo es nach der Gründung des Staates 1948 eigentlich unbeschränkte Möglichkeiten baulicher Vielfalt gegeben hätte, sind nur vereinzelt architektonisch bedeutende Synagogen gebaut worden. Erwähnenswert ist hier die fallschirmartig aufgeblähte Israel Goldstein Synagoge der Hebräischen Universität in Jerusalem von Heinz Rau und David Reznik aus 1957 oder die im brutalistischen Stil konzipierte Synagoge in der Negev Wüste von Zvi Hecker, die aus übereinander geschichteten mehreckigen Betonsteinen besteht. Die von Nachum Solotow 1961 geplante und errichtete Hauptsynagoge von Beer Sheva hat eine Pyramiden-Form, der sich auch Frank Lloyd Wright 1957 in den USA bedient hatte. Mit der beeindruckenden, an eine gläserne Arche erinnernde Temple Beth Sholom in Elkins Park, Pennsylvania, machte der Stararchitekt Frank Lloyd Wright die moderne Synagogenarchitektur zu einem weit über die jüdischen Kreise hinaus beachteten Thema. Der jüdische Sakralbau in Deutschland und auch in Österreich mit der Grazer Synagoge, aus dem Jahr 2000, haben einige außergewöhnliche Neubauten entstehen lassen. Das Leitbild der Grazer Synagoge ist „Geistiges Zentrum und Sichtbarwerden“ zu symbolisieren. Die Planung und Ausführung des neuen Synagogenbaus übernahmen das Grazer Architektenehepaar Jörg und Ingrid Mayr, die die Pläne des Künstlers Fedo Ertl aus 1983 aufgriffen, die vorsahen, die Grundmauern der alten Synagoge freizulegen, aber darüber ein neues architektonisch modernes Synagogengebäude zu errichten. Der zentrale Raum wird von einer Glaskuppel mit zwölf Stützen dominiert, die für die zwölf Stämme Israels stehen und einen Davidstern bilden.

Architektonisch spektakulär ist die 2010 eröffnete Synagoge in Mainz von Manuel Herz einem ehemaligen Mitarbeiter von Daniel Libeskind. Stararchitekt Libeskind hat unter anderem 2001 das Jüdische Museum Berlin entworfen. Die ausdrucksstarke und mutige Formensprache des Neubaus der Mainzer Synagoge mit seiner plissierten Fassade aus grün glasierter Keramik, ist Beispiel hervorragender Gegenwartsarchitektur. Fünf abstrahierte hebräische Buchstaben formen das äußere Erscheinungsbild der neuen Synagoge, deren gezackte Silhouette „Kedushah“ (übers. Heilig) symbolisiert. Das Wort wird hier zur Architektur und untermauert seine religiöse Symbolkraft.

Mainz

Für Architekten besonders reizvoll ist der Umstand, dass es keine festgelegten Vorgaben für die äußere Form einer Synagoge gibt. Chinesische Synagogen beispielsweise, wie in Kaifeng, ist den chinesischen Tempeln dieser Region und Epoche angepasst. Wichtig ist beim Bau einer Synagoge, dass sie in einer Umgebung geplant wird, wo es einen Minyan (Kongregation von 10 Männern) gibt.

Im Inneren einer Synagoge muss es immer eine Arche, einen Aron Ha-Kodesh (Ashkenasim) oder Hekhal (Sephardim) geben, wo die Thorarollen aufbewahrt werden. Zum räumlich angehobenen Thoraschrein sollten mindestens drei Stufen führen und er wird zumeist von den Zehn Geboten gekrönt. Auch muss es eine Bimah/Almemmar und ein Amud geben, wo die Thorarollen aufgelegt werden können, um aus ihnen zu lesen.

Fehlen darf auch nicht das Ner Tamid, ein immer brennender Leuchtkörper. In vielen aschkenasischen Synagogen gibt es eine erhöhte Plattform mit einer Möglichkeit zur Gemeinde zu sprechen, wobei die Position der „Kanzel“ variiert. Sie kann auf beiden Seiten der Arche platziert werden, oder gelegentlich auch in der Mitte der Stufen, wie in der Synagoge Graz.

Die Ausrichtung der Heiligtümer einer Synagoge ist immer nach Osten, Richtung Jerusalem.

Mainz

Auf beiden Seiten der Bimah/Almemmar befinden sich die Sitzgelegenheiten für Männer und darüber eine Frauengalerie, die über Treppen vom äußeren Vorraum aus zu erreichen ist. Im Vorraum muss ein Waschbecken installiert sein, um sich vor dem Gebet die Hände reinigen zu können.

Mit diesen relativ einfachen Vorgaben, lassen sich planerisch viele Variationen und Stile anwenden. Eine Synagoge kann mit Kunstwerken ausgeschmückt werden oder aber auch nicht. Bei bestehenden modernen Synagogen gibt es zahlreiche, vom Baustil unabhängige Möglichkeiten, die von schmucklosen Gebetsräumen bis zu kunstvoll dekorierten Gebäuden reichen. Es gibt nur wenige Embleme, die typisch jüdisch sind. In orthodoxen Synagogen sind im Allgemeinen nur die Verflechtungsdreiecke, der Löwe von Juda, sowie Blüten- und Fruchtformen zulässig. Das Ner Tamid befindet sich vor der Arche. Die Menora (siebenarmiger Kerzenhalter) kann an den Seiten platziert werden. Gelegentlich wird der Schofar und sogar der Lulav für das Design verwendet. Hebräische Inschriften finden sich spärlich oder selten. Auch Buntglasfenster, die einst als besonderes Symbol in Kirchen galten, werden heute auch in Synagogen verwendet.

Eine Synagoge ist nicht – wie im normalen Sprachgebrauch – nur ein Ort des G‘ttesdienstes, sondern dient auch der Versammlung, denn das griechische Wort „Synagoge“ bedeutet (sich) versammeln. So müssen die Planer nicht nur die Anzahl der Besucher eines G’ttesdienstes berücksichtigen, sondern auch Versammlungs- und Veranstaltungsräume zum Gebäudekomplex in ausreichender Größe mit einplanen.

Eine spezifisch jüdische Baugestaltung hat sich in der zweitausendjährigen Geschichte der Synagogen – anders als im Kirchenbau – nicht entwickelt.

Obwohl jüdische Gemeinden in Europa unter Nachwuchssorgen leiden, bauen sie in jüngster Zeit mit großem Selbstbewusstsein neue spektakuläre Gebetshäuser, die ihre religiöse Identität repräsentieren. Es handelt sich zumeist um qualitätsvolle Beiträge zur zeitgenössischen Architektur.

Der neue moderne Synagogenbau in Europa hat dazu geführt, dass sogar eine Forschungsstelle für jüdische Architektur an der Technischen Universität Braunschweig, Deutschland, gegründet wurde. Die Bet Tfila Forschungsstelle ist eine europaweit wohl einmalige Institution die seit zwanzig Jahren versucht, architekturhistorische Lücken zu schließen, indem sie die Baukunst für jüdische Institutionen hauptsächlich in Deutschland erforscht und zu fachspezifischen internationalen Konferenzen einlädt.

 

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