Schattentänzer der vergessenen Dinge
Schattentänzer der vergessenen Dinge
Luminous Zag: Night 1971, mit freundlicher Erlaubnis des Solomon R. Guggenheim Museum, New York, 2019, Estate of Louise Nevelson Solomon R. Guggenheim Museum, New York

Eine Reportage über die Suche quer durch New York nach den Werken der Bildhauerin Louise Nevelson. Auf dem Weg durch mehrere Museen, bis hin zu einem glücklichen Zufallsfund auf der Straße. „Wood has a Life of it‘s own“, wusste die Künstlerin, die aus einer Kiewer Holzhändlerfamilie stammte.

Im New Yorker Whitney Museum of American Art ist kein einziges ausgestelltes Werk von Louise Nevelson zu finden, obwohl dieses Museum die meisten Werke der berühmten Bildhauerin besitzt. Es regnet an diesem Tag und es ist mühsam, in den neuen, im Atlantic Shopping Center in Brooklyn gekauften Gummistiefeln durch das Museum zu stiefeln. Auf der Suche nach der Kiew geborenen Künstlerin, die einer Holzhändler-Familie entstammte und bereits 1905 als Kind nach Rockland in Maine, wo nur 50 jüdische Familien lebten, emigrierte. Berliawsky hieß sie ursprünglich. Die verheiratete Nevelson sammelte und verarbeitete altes Holz, das sie auf den Straßen New Yorks fand und wurde erst im Alter bekannt, weil lange kein Sammler verwittertes Holz in seinem Wohnzimmer aufstellen wollte. Wenn man die Stiegen im Museum hinunter geht, sieht man weit über den Hudson River. Das Geländer ist wie eine Schiffsreling gestaltet und man sieht auf Schiffe. Besucher sitzen auf den Treppenstufen. Im Whitney Museum‘s Shop ist es dann wenigstens möglich, das letzte Exemplar des schweren Buchs „Atmospheres and Environments“ (1980 by the Whitney Museum of American Art) zu ergattern. In diesem wird Louise Nevelson zitiert: „I think often people don‘t realize the meaning of space. They think space is something empty. Space plays the most vital part in our lives. Space has an atmosphere, and what you put into it will color your thinking and your awareness.“

Memory for Wood

Ein freundlicher junger Kunst-Aufpasser erzählt uns, dass er neulich im Guggenheim Museum Werke von Louise Nevelson sah. Also versuchen wir unser Glück im Guggenheim, nachdem wir uns ausführlich im Central Park verlaufen haben. Man kriegt wirklich den Drehwurm, wenn man auf der breiten Rampe die Spirale im Guggenheim Museum hinaufgeht. Ein afroamerikanischer Guide mit grauen Haaren und dicken orthopädischen Schuhen, der wie 105 Jahre alt ausschaut, zeigt uns die spezielle Frauen-Ausstellung, die Jenny Holzer kuratiert hat. Hier findet sich „Luminous Zag: Night“ aus 1971 von Louise Nevelson. Das Kunstwerk besteht aus lauter schwarzen, ähnlichen Kästchen, die mit diversen Holzstücken gefüllt sind. Ein Bauwerk aus kleinen Säulchen, „Rain Forest Column VIII“ (1967) heißt ein anderes ausgestelltes Werk von ihr. Später beschäftigte sich Nevelson mit der Farbe Weiß, dann mit strahlendem Gold - aber die Werke im Guggenheim stammen alle aus ihrer schwarzen Periode. Nevelson erklärte sich ihre Kunst so: „Different people have different memories. Some have memories for words, some for action – mine happens to be for form. Basically, my memory is for wood. When I am working with wood, it‘s very alive. It has a life of its own. Of course we have lived with wood through the ages: the furniture in the house, the floors of the house. Maybe my eye has a great memory of many centuries.“

The forgotten things

Louise NevelsonIn dem riesigen Metropolitan Museum of Art sind viele Werke afroamerikanischer Künstler und Künstlerinnen ausgestellt. Die Abstraktion kam ursprünglich aus der afrikanischen Kunst, steht an der Wand. Neben dem Bild „One Who Understands“ von Paul Klee findet sich die Beschriftung: „Hitler‘s National Socialists fired him in 1933“. Fired him? Dann plötzlich nach einem Irrweg über eine Treppe in ein anderes Stockwerk: Louise Nevelsons „Mrs. N‘s Palace“(1964-77), riesengroß und mitten in einem hohen Saal. Dreizehn Jahre lang arbeitete Nevelson an dieser hausähnlichen dunklen Skulptur. An ihrem 80. Geburtstag wurde sie enthüllt. Meine eine amerikanische Kusine und ich stehen glücklich vor der Riesenhütte. Das Bauwerk würde „recalling grand memorials and tombs“, ist an der Wand geschrieben. Es stehe für „the forgotten things who made up a hole“.
1965 hatte sie ihre Arbeit „Homage to 6 000 000 II“ dem Israel Museum in Jerusalem geschenkt.

Meine Kusine möchte nun unbedingt einen Cocktail auf einer Terrasse trinken. Auf dem Weg zu einer Dachbar gehe ich plötzlich rückwärts. Durch eine Gebäudelücke habe ich eine Stahlskulptur entdeckt. Wir gehen näher: Es ist der Louise Nevelson Plaza auf dem Legion Memorial Square mit enormen hohen Figuren. Was für ein Zufallsfund, denn diesen Platz hätten wir garantiert niemals bewusst entdeckt. Die sieben monumentalen Schattentänzer aus Corten-Stahl heißen „Shadows and Flags“ und wurden 1978 auf den Platz gehievt. Im Museum de L‘homme in Paris hatte sie afrikanische Masken und Stelen gesehen, die ihr unendlich vertraut erschienen. 1966 hatte sie sich von ihrer Sammlung afrikanischer und präkolumbianischer Kunst getrennt, um Platz für ein neues Material zu schaffen: Stahl für den öffentlichen Raum.

 

https://www.imj.org.il/en/collections/192090

Autorin: Kerstin Kellermann

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