Postkarten zu Rosh Hashana
Postkarten zu Rosh Hashana

Viele Traditionen begleiten das Rosch Haschana Fest. Der Schofar und sein unvergleichlicher Klang, Honig, Granatäpfel .... und Neujahrskarten. Durch die Digitalisierung ist diese Tradition in den letzten Jahrzehnten in den Hintergrund getreten, aber hin und wieder flattern diese bunten Karten noch in den Briefkasten. Das Jewish Museum in London widmete kürzlich diesen historischen Postkarten eine Ausstellung. Der Ursprung dieser festlichen Tradition liegt weit in der Vergangenheit und geht auf das 14. Jahrhundert zurück.

Der Brauch wird erstmals im Buch der Traditionen von Rabbi Jakob, dem geistlichen Führer des deutschen Judentums im 14. Jahrhundert, erwähnt. Allerdings verbreitete sich das Verschicken dieser Karten an Freunde und Bekannte erst mit der Massenproduktion von Drucksachen und erschwinglichen Schreibwaren in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts.

 

Die erste Postkarte wurde 1869 in Wien erfunden und war nur ein leeres Quadrat aus dünnem Karton. Sie wurde von der österreichisch-ungarischen Post auf Anregung des österreichischen Wirtschaftsprofessors Emmanuel Herman als sogenannte „Korrespondenzkarte“ eingeführt und wurde für das Verschicken von Kurznachrichten sofort sehr populär. Drei Millionen Karten wurden in den ersten 3 Monaten verkauft. Kurz darauf wurde sie auch in Preußen eingeführt und erreichten bald das übrige Europa und die Vereinigten Staaten. Auf dem Höhepunkt des Postkarten-Fiebers im Jahr 1913 wurden allein in den USA fast eine Milliarde Karten verschickt. Aufgrund der enormen Popularität von Postkarten wurden nun auch Grußkarten zu Weihnachten und zum christlichen Neujahr verschickt.

In dieser Begeisterung entwickelte sich auch die Praxis, jüdische Postkarten zu Rosch Haschana zu versenden. Diese Postkarten zeigten Szenen des traditionellen jüdischen Lebens: Feiertage, Ereignisse im Lebenszyklus - wie der Besuch des Cheder (Religionsschule), Hochzeiten, Brit Mila Zeremonien und Familienporträts. Manchmal wurden auch biblische Szenen, bekannte Gelehrte und Rabbiner dargestellt.

Mit dem Entstehen und der Stärkung der zionistischen Bewegung wurden Rosh Haschana-Postkarten auch zu einer Plattform für ideologische Botschaften und zionistische Gefühle, die auf wichtigen öffentlichen Ereignissen und Persönlichkeiten basierten. So gibt es zum Beispiel Postkarten mit Porträts von Theodor Herzl und Max Nordau, Postkarten mit Theodor Herzl und dem osmanischen Sultan und sogar Postkarten mit zeitgenössischen Botschaften während der Dreyfus-Affäre.

Eine beeindruckende Sammlung alter Neujahrskarten befindet sich im Beit Hatefutsot Museum in Tel Aviv. Eine der ältesten Karten mit dem Titel „Der Sohn Zions“ wurde 1906 in New York gedruckt und zeigt einen Mann mit zionistischer Neujahrsflagge.

In Europa waren Deutschland und Polen die Produktionszentren für diese Karten, wobei deutsche Drucker hauptsächlich biblische Bilder als Illustrationen verwendeten und osteuropäische Drucker sich für Kunstwerke entschieden, die Szenen aus dem täglichen jüdischen Leben darstellten. Auf das Bild wurde oft ein Reim oder eine kurze Nachricht auf Jiddisch gedruckt. Beispielsweise wird auf einer 1920 gedruckten Karte, eine Familie gezeigt, die zu Hause um den festlich gedeckten Tisch versammelt ist und zusieht, wie die Mutter die Festkerzen segnet. Der Vater und die beiden Kinder tragen Weiß, passend zur Tradition zu Rosch Haschana. Der darauf zu lesende Reim beinhaltet eine Bitte an G’tt, ein gutes neues Jahr zu geben.

Rosh-Hashana

Aber auch Geldthemen wurden abgebildet. Auf einer ungewöhnlicheren Postkarte ist eine Reihe von Menschen zu sehen, die darauf waren, ihre Schecks an einer Bankkasse einzutauschen. Der gereimte jiddische Vers lautet übersetzt:

„Freudig nähern sie sich dem Fenster

Jeder bringt einen Neujahrsscheck.

Ach gesegnet soll der Schöpfer sein:

Jeder von ihnen geht mit Geld davon.“

Rosh-Hashana

Auf einer anderen Postkarte ist eine Gruppe, vermutlich jüdischer Auswanderer zu sehen, die auf ihr Schiff warten. Themen der Auswanderung waren auf Neujahrspostkarten aus dieser Zeit üblich, da immer mehr osteuropäische Juden nach Amerika oder England ziehen wollten. In dieser großen Auswanderungswelle während der ersten zwei Dekaden des 20. Jahrhunderts machten sich fast 25 Millionen Europäer, darunter hauptsächlich Italiener, Griechen, Ungarn und Polen auf die Reise, um ein besseres Leben zu finden. Unter ihnen waren zwischen 2,5 und 4 Millionen Juden, die hauptsächlich den Pogromen und der Diskriminierung entkommen wollten. Sie alle suchten nach einer besseren ökonomischen Zukunft. Das Thema der Auswanderung hatte aber auch eine traurige Seite.

So erzählen Postkarten die Geschichte von Familien, die sich in der Hoffnung auf ein besseres Leben in einem neuen Land voneinander trennten. Es war üblich, dass Ehemänner ihre Frauen und Kinder in Osteuropa zurückließen und sich in der neuen Welt auf die Suche nach einer bessere Zukunft machten. Die Idee war, sobald der Ehemann eine gute Unterkunft und Arbeit gefunden hatte, er die Überfahrt für den Rest der Familie aufbringen konnte. Aber in einer beträchtlichen Anzahl von Fällen schickte der Ehemann kein Ticket für die Schiffspassage, um seine Familie zu holen und fing in der Emigration ein neues Leben mit einer neuen Familie an.

Auf einer Postkarte zu diesem Thema ist der Ehemann abgebildet, der einen Brief für das neue Jahr an seine Familie in Europa schreibt. Daneben durch eine Bildteilung getrennt, steht eine Frau, eine stille Träne fällt aus ihrem Auge. Der Text dazu:

„G’tt, sende uns einen Lebensunterhalt, Glück und halte uns nicht länger getrennt.“

Zahlreiche jiddische Neujahrskarten wurden von Haim Goldberg entworfen. Er war der wichtigste und produktivste Designer von Rosch Haschana Karten. Haim Yisroel Goldberg wurde 1888 in der polnischen Stadt Lukow in eine chassidische Familie geboren. Er erhielt eine traditionell religiös-jüdische Ausbildung und als sein künstlerisches Talent erkannt wurde, reiste er nach Deutschland, um dort Kunst zu studieren. 1912 kehrte Goldberg nach Warschau zurück und eröffnete ein Fotostudio. Schon bald wurde er vom Verlag „Yehudia“, der berühmten jiddischen Tageszeitung „Haynt“ (übers. Heute), als Grafiker für Grußkarten und Postkarten angestellt.

Goldberg, der den Zweiten Weltkrieg nicht überlebte, schuf verschiedene Postkarten in Farbe, viele davon jüdische Neujahrskarten, die er mit einer einzigartigen Methode des Nachkolorierens gestaltete. Dem Bild fügte er kurze jiddische Grüße in selbst komponierten Reimen hinzu. Nach dem Ausbruch des Zweiten Weltkriegs im September 1939 gelang Goldberg die Flucht in die damals von der Sowjetunion besetzte Stadt Bialystok, wo er 1941 im Ghetto interniert wurde und offizielle Plakate für den Judenrat illustrierte.

Die von Goldberg gestalteten Neujahrskarten stellten zum ersten Mal modern gekleidete jüdische Frauen und glatt rasierte Männer dar. Nur die Großmutter auf den Bildern wurde noch in traditioneller Kleidung gezeigt. 

 

Rosh-Hashana

Viele von Goldbergs Neujahrskarten zeigen die Faszination, die Juden vom Fortschritt moderner Technologie dieser Zeit hatten: Autos, Telegrafen, Telefone, Radios und Flugzeuge waren die Motive. Die Menschen glaubten, dass Wissenschaft und Technologie zu globalem Frieden und Wohlstand für alle führen könnten. Auf einer solchen Karte steht ein junger Mann vor einem Mikrofon und übermittelt so seiner Mutter und seiner Schwester einen Segensspruch:

„Segnungen an Mutter und Schwester per Radio senden

Möge das Jahr für uns alle das reichste und beste sein.“

Der gut gekleidete junge Mann ist offenbar nach Amerika eingewandert und hatte Erfolg. Auf der linken Seite der Karte hören seine Mutter und seine Schwester die Radiobotschaft über Kopfhörer ab. Die Frauen sind konservativer gekleidet, leben wahrscheinlich noch in Polen. In der Mitte ist eine Szene an einem bekannten Ort in Warschau abgebildet.

Die Neujahrskarten aus den Jahren 1880 bis 1920 dokumentieren nicht nur die Traditionen zu Rosch Haschana, sondern zeigen szenisch das Alltagsleben jüdischer Menschen in einer Gesellschaft, die gerade in diesen Jahren im Aufbruch war.

 

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