Gedenkdienst in Jerusalem
Gedenkdienst in Jerusalem
(c) Otto Dorfer

Ein Bericht aus dem Alltag eines 18-Jährigen Gedenkdieners am Leo Baeck Institute in Jerusalem. Der erste von mehreren Berichten handelt dabei vor allem von der Arbeit im Institut.

otto dorfer 4 smallJerusalem. 8:00 Uhr, 23 Grad und Blauer Himmel. Es ist Mitte November, ich nehme meinen Tretroller und fahre vorbei an Beit Aghion –  ofizielle Residenz Bibi Netanjahus und jeden Samstagabend Ort des Protests gegen den „Crime Minister“ - in das Leo Baeck Institut. Jeden Abend habe ich die Möglichkeit, die Demonstrationen und das Auffahren der Wasserwerfer von meinem Fenster aus zu beobachten. Ich wohne gleich zwei Häuser weiter. Das Leo Baeck Institut Jerusalem gilt heute als das führende israelische Forschungszentrum für jüdische Geschichte und Kultur in Deutschland und Zentraleuropa. Es ist Teil des internationalen Leo Baeck Instituts, das aus mehreren unabhängigen Zentren besteht. Zu den Gründern und Führungspersönlichkeiten des Leo Baeck Instituts Jerusalem gehören herausragende deutsch-jüdische Intellektuelle wie Martin Buber und Gershom Scholem. Hier darf ich die nächsten 10 Monate Gedenkdienst leisten.

Gedenkdienst – Was ist das?

Der Verein Gedenkdienst entsendet seit den 90ern weltweit Freiwillige an verschiedene Museen, Gedenkstätten oder - wie in meinem Fall - Forschungseinrichtungen mit Bezug auf die Shoa. So leisten jedes Jahr einige dutzend Österreicher*innen Gedenkdienst im Ausland. Die Einsatzstellen erstrecken sich dabei von Süd- und Nordamerika über Europa bis in die Levante. Für junge wehrpflichtige Männer kann der in der Regel zwölf Monate dauernde Dienst auch als Zivilersatzdienst angerechnet werden. Gefördert wird der Verein Gedenkdienst vom Bundesministerium für Arbeit, Soziales, Gesundheit und Konsumentenschutz. Die Finanziellen Mitteln sind jedoch begrenzt. So bleiben mir in Jerusalem derzeit knapp 200 Euro monatlich zum Leben. Wer Israel und seine sehr hohen Preise kennt, weiß, dass dies bei weitem nicht ausreicht. Daher sind Gedenkdiener auf Spenden und Eigenmittel angewiesen. Der Verein Gedenkdienst versucht seit längerem eine Erhöhung der Zuwendungen durch das Sozialministerium zu erreichen – bis jetzt leider ohne Erfolg.

Der Alltag im Institut

otto dorfer 4 smallMeine Tätigkeiten im Institut sind sehr vielfältig. Meine Hauptaufgabe liegt in der Betreuung der Austrian Heritage Collection (AHC). Hierbei werden Interviews mit Holocaust Überlebenden vorbereitet, durchgeführt und sorgfältig nachbearbeitet. Gefolgt wird dabei dem Prinzip der „Oral History“. Zeitzeuginnen und Zeitzeugen aus verschieden Milieus erzählen von ihren Erlebnissen und Erinnerungen. Die interviewte Person soll frei sprechen, es handelt sich hierbei um keinen Dialog. Die Interviews werden im Austrian Heritage Archive gesammelt und sind online für jedermann zugänglich. Aufgrund der gegenwärtigen Pandemie, können derzeit leider keine Interviews durchgeführt werden (digitale Versuche sind gescheitert). Daher bin ich auch in andere Projekte involviert. Beispielsweise darf ich an der Umgestaltung unserer Webseite teilhaben und meine Gedanken mit einbringen.
Zusätzlich organisiere ich Rechte für Texte, die in den hauseigenen Publikationen erscheinen oder erstelle Präsentationen für meine Chefin. Auch administrative Aufgaben wie die Verteilung der Post (die Israelische Post verlangt einem sehr viel Geduld ab!) fallen in meinen Tätigkeitsbereich.

Nach 7 Stunden Arbeit – um 16:30 Uhr - geht ein vielseitiger und lehrreicher Arbeitstag zu Ende. Ich nehme meinen Tretroller und fahre quer durch das hügelige Jerusalem nach Hause. Der Feierabend beginnt. Über meine Freizeit, den Begegnungen mit dem Judentum, wie es sich anfühlt in einem „strengen“ jüdischen Haushalt zu wohnen und die unglaubliche Vielfalt der israelischen Natur werde ich in den nächsten Ausgaben berichten.

 

Autor: Otto Dorfer

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